Muttergebundene Kälberaufzucht Muttergebundene Kälberaufzucht

Kälber bei den Milchkühen - geht das?

Bleibt das Kalb bei der Kuh, ist dies das natürliche Haltungssystem der Kälberaufzucht. Einige Milchviehbetriebe gehen inzwischen wieder diesen Weg und die Forschung unterstützt sie dabei.

Die sofortige Trennung von Kuh und Kalb nach der Geburt, wie sie weltweit in der Milchviehhaltung üblich geworden ist, wird zunehmend hinterfragt. Als Gründe für die sofortige Trennung werden neben der Arbeitswirtschaftlichkeit bislang noch vor allem der Schutz des Kalbes vor Krankheitserregern und die noch wenig ausgeprägte Mutter-Kind-Bindung angegeben. Die frühe Trennung soll den Trennungsschmerz reduzieren.

Die gemeinsame Haltung von Kuh und Kalb hat aber auch viele Vorteile und kommt der natürlichen Aufzucht am nächsten. Als Haltungsform etabliert hat sie sich in den letzten Jahren in der Rindermast - als Mutterkuhhaltung. Hier bleiben die Kälber mehrere Monate an der Kuh, bevor sie abgesetzt werden. Vermehrt erproben Milchviehbetriebe seit einigen Jahren ebenfalls die kuhgebundene Aufzucht - also die Aufzucht bei der Kuh - und das in verschiedenen Formen. Kuh und Kalb haben dadurch längeren Kontakt als es in der Milchviehhaltung heute üblich ist.

Kuhgebunden, muttergebunden, ammengebunden

Kuhgebundene Aufzucht bedeutet zunächst einmal nur, dass die Kälber während ihrer ersten Lebenswochen Kontakt zu Kühen haben und von diesen Milch erhalten. Zu unterscheiden ist die ammengebundene Aufzucht von der muttergebundenen Aufzucht.

Bei der Ammengebundenen Aufzucht werden mehrere Kälber von einer Ammenkuh gesäugt. Das kann sogar so weit gehen, dass die Kuh gar nicht mehr gemolken wird, sondern quasi als Mutterkuh mehrere Kälber aufzieht. Das können weibliche Kälber von Milchviehrassen sein, die zur Remontierung vorgesehen sind, genauso wie männliche und weibliche Kälber von Milchvieh- oder Zweinutzungsrassen, die später in die Rindermast gehen.

Bei der muttergebundenen Aufzucht wird nur das jeweils eigene Kalb gesäugt und die Kuh wird zusätzlich gemolken. Zum einen, um Milch für den menschlichen Verzehr zu gewinnen und zum anderen, weil die Kuh heute oft viel mehr Milch gibt als ihr Kalb trinkt.

Überzeugung ist entscheidend

Was mit einigen, vorwiegend kleineren Betriebe begann, stößt sowohl bei Milcherzeugern wie auch in der Gesellschaft auf viel Resonanz. Wer sich nun überlegt, in die mutter- oder kuhgebundene Aufzucht einzusteigen, sollte sich allerdings über die eigenen Beweggründe im Klaren sein. Denn wer diesen Schritt geht, ohne richtig dahinterzustehen, wird die neue Herausforderung nur schwer stemmen können.

Das Aufzuchtverfahren an der Kuh hat direkten Einfluss auf den täglichen Arbeitsablauf. Das Schleppen und Waschen von vielen Eimern und Behältern fällt weg, was zu Arbeitseinsparung führt. Dafür nimmt der Zeitaufwand für die Tierbetreuung deutlich zu. Es müssen Gruppen zusammengestellt und gut beobachtet werden und das Einzeltier muss man auch in der Gruppe genau im Blick haben und Kontakt zu ihm aufbauen. Auf der anderen Seite wirkt sich die Umstellung aber in Studien und Praxis positiv auf die Gesundheit und Entwicklung der Tiere aus - bei den Kälbern und den Kühen. Ein weiterer Nebeneffekt ist, dass die Kälber von den Kühen den Alltag in Herde und Betrieb lernen, was sich später positiv im Betriebsablauf bemerkbar machen kann.

Erfolg haben wird, wer überzeugt von dieser Aufzuchtmethode ist, neue Wege ausprobieren kann und möchte und durch geschickte Vermarktung idealerweise höhere Erlöse erzielen kann. Auf jeden Fall ist es ratsam, sich zuvor mit den verschiedenen Formen der muttergebundenen Aufzucht zu befassen und entsprechende Betriebe zu besuchen, um die beste Form für den eigenen Betrieb zu entwickeln.

Verschiedene Systeme mit fließendem Übergang

Welches System im eigenen Betrieb durchgeführt werden kann, hängt unter anderem von den stallbaulichen Gegebenheiten ab, ob Umbauten durchgeführt werden müssen und was diese kosten. Außerdem müssen alle tierbetreuenden Personen bereit sein, sich auf die andere Haltungsform mit anderen Arbeitsschwerpunkten einzulassen.

Grob teilen Fachleute die kuhgebundene Aufzucht in System Dauerkontakt, System Halbtagskontakt und System Kurzzeitkontakt als reine muttergebundene Systeme ein. Daneben gibt es das System Amme und ein Mix aus Mutter und Amme. 

  • Beim System Dauerkontakt sind die Kühe und Kälber den ganzen Tag zusammen, die Kälber können sich aber in einen Kälberschlupf zurückziehen.
  • Beim System Halbtagskontakt haben Kühe und Kälber zwischen zwei Melkzeiten entweder tagsüber oder nachts Kontakt.
  • Beim System Kurzzeitkontakt hat das Kalb nur zweimal täglich für etwa eine Stunde Kontakt zur Mutter in einem Begegnungsraum.

Alle Systeme haben unterschiedliche Anforderungen an Management, Betreuung und betriebliche Voraussetzungen, so dass genau geprüft werden sollten, welches System das passende für den eigenen Betrieb ist.

Praxis Tipps: Kuhgebundene Kälberaufzucht in der Milchviehhaltung

Der Leitfaden "Kuhgebundene Kälberaufzucht in der Milchviehhaltung" beantwortet viele praktische Fragen, die durch eine Umstellung der Aufzucht entstehen. Checklisten, Erhebungsbögen sowie Berechnungsbeispiele und -formeln geben Interessierten Unterstützung bei ihren Überlegungen. Der Leitfaden ist das Ergebnis eines EIP-Projektes und wurde von Bioland, dem Thünen-Institut und der CAU Kiel verfasst. Weitere Informationen finden Sie unter www.kuhgebundene-kaelberaufzucht.de

Ergebnisse aus wissenschaftlichen Versuchen und Berechnungen

Ein Versuch im Thünen-Institut für Ökologischen Landbau in Trenthorst verfolgte die Fragestellung, ob man durch den Halbtagskontakt im Vergleich zum Dauerkontakt mehr Trinkmilch melken kann. Dem war nicht so. In der Folge wird untersucht, welchen Einfluss der Halbtagskontakt auf das Entwöhnen der Kälber hat. Ein weiteres Ergebnis der muttergebundenen Aufzucht in Trenthorst: Auch der eingeschränkte Kontakt, Kurzzeitkontakt, nach dem Melken reduzierte gegenseitiges Besaugen. Aus den bisherigen Erfahrungen in Trenthorst lässt sich sagen, dass es keine direkt erkennbaren Unterschiede im Gesundheitsstatus gab, die Kälber aus der muttergebundenen Aufzucht jedoch wesentlich höhere Tageszunahmen und ein höheres Absetzgewicht als Kälber aus herkömmlicher Aufzucht zeigten. Auch erwarte das Forscherteam bei der muttergebunden Aufzucht positive Effekte auf die Entwicklung des Immunsystems.

Berechnungen des Thünen-Instituts für Betriebswirtschaft zusammen mit der Universität Göttingen ergaben zusammengefasst, dass die muttergebundene Aufzucht teurer ist als die konventionelle Aufzucht mit Milchtränke, da die Milchmenge, die das Kalb trinkt, nicht verkauft werden kann. Eventuell notwendige Umbaukosten wurden bei der Berechnung noch nicht berücksichtigt.

Lässt sich muttergebundene Kälberaufzucht vermarkten?

Muttergebundene Kälberaufzucht geht oftmals zunächst mit Mehrkosten einher, die nicht wie bisher erwirtschaftet werden können. Molkereien in Deutschland erfassen - von wenigen Einzelfällen abgesehen - derzeit diese Milch nicht getrennt. Im üblichen Einkaufsregal ist es daher nicht ersichtlich, ob die Milch aus Betrieben mit Mutter-Kalb-Haltung stammt. Es gibt aber verschiedene Eigeninitiativen in der Vermarktung. Zwei davon werden im Folgenden vorgestellt.

In Schleswig-Holstein haben sich drei Landwirte zur De Öko Melkburen GmbH zusammengeschlossen und praktizieren die muttergebundene Kälberaufzucht unter der Bezeichnung Elternzeit für unsere Kühe. Die Milch wird an eine Molkerei geliefert und unter der Marke "Vier-Jahreszeiten-Milch“ an einigen Standorten und auch inhabergeführten Supermärkten in Schleswig-Holstein bis über den Süden Hamburgs hinweg vermarktet.

Seit 2019 gibt es in Süddeutschland das Siegel "Zeit zu zweit für Kuh und Kalb“ für die kuhgebundene Aufzucht - Mutter oder Amme - im Handel. Das Projekt wurde von den Demeter HeuMilch Bauern und dem Nutztierschutzverein PROVIEH initiiert. In der Schweiz unterstützt und vernetzt die Fachstelle MUKA (Mutter-Kalb-Haltung)

Auch wenn schon etliche Betriebe individuelle Lösungen im Hinblick auf die mutter-bzw. kuhgebundene Kälberaufzucht für sich gefunden haben, bedarf es weiterer Forschung und weiteren Wissenstransfer, um dieses Aufzuchtsystem für andere praktikabel zu machen und in der landwirtschaftlichen Praxis wieder zu verbreiten.


Letzte Aktualisierung 18.07.2024

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