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Ist die paarweise Aufzucht von Kälbern eine Alternative zur Einzelhaltung in den ersten beiden Lebenswochen? Dieser Frage gehen Lehr- und Versuchsanstalten und Praktiker nach. Erste Ergebnisse fallen positiv aus.
In der modernen Milchwirtschaft gilt die Einzelhaltung neugeborener Kälber in ihren ersten zwei Lebenswochen aus Gründen der Hygiene und Tierkontrolle als Standard. Das Kalb wird direkt nach der Geburt von der Mutter getrennt und in eine Einzelbucht - oft in einen Kälberiglu - gebracht. Ab der dritten Woche ist in Deutschland die Gruppenhaltung von Kälbern vorgeschrieben, denn in Bezug auf das Tierwohl ist die Aufzucht in einer Gruppe für die jungen Tiere besser. Nur so schulen sie ihr Sozialverhalten und interagieren mit anderen Jungtieren, was wesentlich für ihre Entwicklung ist und ihnen in vielerlei Hinsicht zu Gute kommt. In der Einzelhaltung ist das nicht möglich, selbst bei Sicht- und Nasenkontakt. Werden Kälber gleich nach der Geburt zu zweit aufgestallt, ist dies außerdem ein Schritt in Richtung Gruppenhaltung.
Mehrere amerikanische und kanadische Studien haben gezeigt, dass Kälber, die paarweise oder in kleinen Gruppen aufgezogen werden, genauso gut oder besser wachsen als Kälber, die einzeln gehalten werden. Diese Erfahrungen mündeten in einen Leitfaden, der durch die Lehr- und Versuchsanstalt für Viehhaltung Hofgut Neumühle in Rheinland-Pfalz und das Innovationsteam Milch Hessen an deutsche Standards, Vorgaben und Rechtsprechung angepasst wurde.
Die Vorteile der paarweisen Haltung werden als vielversprechend für die Vitalität und auch die Nachhaltigkeit der Milchwirtschaft gesehen. Gesellschaft ist für die soziale Entwicklung der Kälber wichtig. Sie lernen, angemessen miteinander umzugehen, ihre Lernfähigkeit wird verbessert und sie zeigen eine größere Anpassungsfähigkeit und damit Stressresistenz bei Veränderungen. Sie fressen nach dem Absetzen und Umstellen in die Großgruppe besser und zeigen keinen Wachstumsknick, wie es oft bei Kälbern in der Einzelhaltung der Fall ist. Die positiven kognitiven Effekte halten bis in das spätere Kuhleben an. So wird unter anderem beschrieben, dass sich Färsen, die paarweise aufgezogen wurden, später besser in den Melkbetrieb eingewöhnen.
Zwei oft geäußerte Gründe für die Einzelhaltung von Kälbern in den ersten Lebenswochen sind gesundheitliche Aspekte und das Vermeiden von gegenseitigem Besaugen der Kälber. Kälberkrankheiten sind aber in den meisten Fällen Faktorenkrankheiten, weshalb die Gesundheit der Kälber auch immer eine Frage des Managements ist. Dazu gehört selbstverständlich, dass alle Kälber täglich auf ihren Gesundheitszustand untersucht und gegebenenfalls unverzüglich behandelt werden. Tiere mit Krankheitsanzeichen sollten von den anderen getrennt werden, um die Ausbreitung von Infektionskrankheiten zu verhindern.
Es ist entscheidend, dass Kälber in paarweiser Haltung ihren individuellen Platzanspruch behalten. Bei zwei Kälbern verdoppelt sich somit der Platzbedarf in der Bucht bzw. im Iglu.
In der Praxis haben sich diese Aufstallungssysteme bewährt:
Auch wenn die Kälber gerne gemeinsam in einer Hütte liegen, sollten pro Kalb mindestens 3 m² zur Verfügung stehen.
Um das gegenseitige Besaugen einzudämmen, ist es unbedingt notwendig, dass die Kälber genügend Milch bekommen. Die meisten Fachleute empfehlen inzwischen, Kälber mit mindestens 8 bis 10 Litern, besser mit 10 bis 12 Litern Milch oder Milchaustauscher pro Tag zu füttern. Diese Empfehlung gilt übrigens unabhängig davon, ob die Kälber einzeln, paarweise oder in Gruppen gehalten werden. Die Milchmengenempfehlung ist auch unabhängig von der Jahreszeit oder dem Klima. Auch ist es wichtig, die Kälber, zum Beispiel am Nuckeleimer, saugen zu lassen und nicht direkt aus dem Eimer zu tränken. Schwergängige Nuckel und extra bereitgestellte Nuckel als "Schnuller“ helfen ebenso, das gegenseitige Besaugen in der Gruppenhaltung zu verhindern.
Inzwischen gibt es auch in Deutschland wissenschaftliche Untersuchungen zur paarweisen Kälberaufzucht in den ersten Lebenswochen: Am Landwirtschaftlichen Bildungszentrum in Echem wurden die Unterschiede in der Entwicklung von einzeln gegenüber paarweise gehaltenen Tränkekälbern untersucht. Dabei wurden die Parameter Geburtsgewicht, tägliche Lebensmassezunahmen (LMZ), täglich aufgenommene Milchmenge sowie Umstallgewicht bei 40 Kälbern innerhalb der ersten 21 Lebenstage erfasst.
"Die Ergebnisse zeigen, dass die Haltung keinen Einfluss auf die täglich aufgenommene Milchmenge oder die durchschnittlichen täglichen Lebendmassezunahmen hat. Daraus lässt sich die Aussage ableiten, dass die Gruppenhaltung im frühen Lebensalter auch wirtschaftlich möglich ist, ohne Einbußen im Entwicklungsziel zu verzeichnen“, so das Landwirtschaftliche Bildungszentrum in Niedersachsen.
Auch Rasse und Geschlecht hatten keine Auswirkungen auf die Tränkemenge oder die täglichen Lebendmassezunahmen. Außerdem zeigte sich, dass Kälber der frühen Gruppenhaltung sich gegenseitig zur Aufnahme von Tränkemilch und Kälber-TMR animierten, so dass sie potenziell mehr Energie aufnahmen. Ein weiterer Vorteil sei, dass die Tiere in einer Gruppe ihr Sozialverhalten natürlicher ausleben könnten als in Einzelhaltung. Dies machte sich zum Teil auch noch später in einer gemischten Gruppe bemerkbar.
Die unmittelbare Trennung von Kuh und Kalb nach der Geburt und die darauffolgende Einzelhaltung werden auch von vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern inzwischen sehr kritisch gesehen und teils nicht mehr akzeptiert. Daher stellt die paarweise Aufzucht von Kälbern eine Möglichkeit dar, gesellschaftlichen Ansprüchen in Bezug auf Tierwohl in der Milcherzeugung und Milchviehhaltung entgegenzukommen.
Letzte Aktualisierung 18.07.2024