Milchviehhaltung - ein Ausblick Milchviehhaltung - ein Ausblick

Wie sieht die Milchviehhaltung künftig in Deutschland aus?

Die Rahmenbedingungen für Milchviehbetriebe ändern sich zunehmend. Was erwartet sie und worauf müssen sie sich einstellen? Dr. Friedhelm Taube, langjähriger Professor für Grünland und Futterbau sowie Direktor des Instituts für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel gibt einen Ausblick.

Zu den Arbeitsschwerpunkten von Friedhelm Taube zählen die Klimarelevanz landwirtschaftlicher Produktionssysteme und die ökoeffiziente Weidemilcherzeugung als Beitrag zur ökologischen Intensivierung der Landnutzung in Deutschland.

Von 1997 bis Herbst 2023 war der Agrarwissenschaftler, der auf einem landwirtschaftlichen Betrieb in Niedersachsen aufgewachsen ist, Sprecher des Forschungsschwerpunkts "Ökologischer Landbau und extensive Landnutzungssysteme“ und wissenschaftlicher Leiter des Versuchguts Lindhof der Christian-Albrechts-Universität. Von 2012 bis 2021 war er Mitglied des Wissenschaftlichen Beirat des Bundeslandwirtschaftsministeriums.

Herr Professor Taube, wo steht die Milchviehhaltung in Deutschland?

Unsere Milchproduktionssysteme haben sich in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend auf eine hohe Milchleistung und den Anbau von Futterpflanzen auf dem Acker konzentriert. Damit einher ging eine Intensivierung und große Effizienzsteigerung. Dabei ist die Kuh eigentlich die Idealbesetzung für Grünlandstandorte und die Verwertung von Gras.

Auf die Milchviehhalterinnen und Milchviehhalter kommen in den nächsten fünfzehn bis zwanzig Jahren einige Herausforderungen zu, zum Beispiel durch die Umsetzung des deutschen Klimaschutzgesetzes, der europäischen Farm-to-Fork-Strategie und des Gesetzes zur Wiederherstellung der Natur, das auch die Wiedervernässung von Mooren umfasst.

Auch wenn ein Teil dieser Vorgaben aktuell in der EU offensichtlich aus wahltaktischen Gründen ausgesetzt ist, so müssen die Treibhausgase in der Landwirtschaft und damit auch der Milchviehhaltung gesenkt werden und auch die Nährstoffüberschüsse weiter gemindert werden.

Daraus folgt in der Konsequenz, dass sowohl die Produktion als auch der Konsum von Lebensmitteln tierischer Herkunft gesenkt werden müssen. Auf 20 Jahre projiziert verringert sich die Anzahl der Kühe deutlich. Diese werden dann aber erstens wieder primär von Grünlandfutter ernährt werden und zweitens, wo immer möglich, aus Weidefutter neben der Milch auch Ökosystemdienstleistungen erzeugen.

Gibt es auch Chancen für die deutschen Milchviehbetriebe?

Die Internalisierung der externen Kosten, also die Einbeziehung von Kosten, die zum Beispiel durch umweltschädliches Verhalten entstehen und deren Auswirkungen bislang von der Allgemeinheit getragen werden, wird die relative Vorzüglichkeit von intensiven Milchproduktionssystemen zugunsten der Weide-, der Grünland- und der Gemischtbetriebsmilch verändern.

Davon können auch deutsche Milchviehhalterinnen und Milchviehhalter profitieren, denn im internationalen Vergleich sind sie mit einem solchen Ansatz konkurrenzfähig.

Wir sollten das gegenüber der internationalen Konkurrenz deutlich machen und in Deutschland ein Label "Grünlandmilch“ einführen. Das Label "Grünlandmilch" sollte besagen, dass die Kühe mindestens 75 Prozent ihrer Energie- und Proteinversorgung aus dem Grünland bekommen. Diese Milch sollte der Lebensmitteleinzelhandel mit einem Bonus honorieren, weil diese Milch auf absolutem Grasland erzeugt wurde.

Hier kann die Kuh nicht essbares Pflanzenprotein in wertvolles Nahrungseiweiß veredeln. Die knappen Ackerflächen stehen dagegen für die direkte Nahrungsmittelerzeugung zur Verfügung und werden nicht für Futter genutzt.

Da dies zusätzlich ein Beitrag für Klimaschutz-, Biodiversitäts- und Landschaftspflege ist, sollten diese Leistungen der Milcherzeuger in der GAP in einer Gemeinwohlprämie sichtbar werden, die Ökosystemdienstleistungen honoriert und nicht die Flächengröße anhand der Anzahl Hektar.

Also Milchviehhaltung künftig nur noch auf Grünlandstandorten?

Nein. Die Milcherzeugung kann zumindest teilweise aus gutem Grund weiterhin auf Ackerbaustandorten laufen. Dann nämlich, wenn durch die Futterbaukomponenten das Ackerbausystem verbessert wird.

Das gelingt beispielsweise mit zweijährigem Kleegrasanbau. Idealerweise würde dieser Ansatz zunächst mit Anreizen durch den Staat gefördert. Das ginge zum Beispiel als neue Ökoregel, weil mit Kleegras durch Kohlenstoffanreicherung im Boden effizientes "Carbon farming“ betrieben wird.

Damit geht praktischer Wasserschutz einher, denn die N-Auswaschungsverluste gehen gegen Null. Außerdem wird eine biologische Unkrautbekämpfung mitgeliefert und ein höchster Vorfruchtwert für zwei Folgefrüchte. All das ist in bisherigen Berechnungen zum ökonomischen Wert des Kleegrasanbaus nicht enthalten - obwohl wir zeigen können, dass auf dieser Basis erzeugte Milch Umweltkosten vermeidet. Und zwar in Höhe von bis zu 30 Eurocent je kg ECM im Vergleich zu aktuellen Intensiv-Stallhaltungssystemen.

Sehen Sie weitere mögliche Lösungen?

Lösungen sind für mich definierte und zertifizierfähige Mischformen aus ökologischer und konventioneller Wirtschaftsweise - sozusagen "Das Beste aus zwei Welten“. Ein Hybridsystem aus konventioneller Bewirtschaftung mit Elementen des Ökolandbaus. So schaffen wir es, Landnutzung in Einklang mit dem Ressourcenschutz zu bringen.

Wir haben an der Universität Kiel Berechnungen angestellt, nach denen ein Milchviehbetrieb mit Weidegang, Verzicht auf mineralischen Stickstoffdünger und Zukauf von maximal 25 Prozent der Energie heute schon wettbewerbsfähig ist, obwohl die Milchleistung der Kühe geringer ist.

Am Versuchsgut Lindhof beträgt die direktkostenfreie Leistung 33 Cent im Gegensatz zu 9 Cent bei vergleichbaren konventionellen Milchviehbetrieben in Schleswig-Holstein.

Wenn ein konventioneller Milchviehbetrieb 50 Prozent der Fruchtfolge nach Ökostandards ausrichtet und insbesondere zweijähriges Kleegras anbaut und auch die dann folgende Sommerung ohne mineralischen Dünger und ohne chemischen Pflanzenschutz bewirtschaftet, bevor zum Beispiel in einer sechsgliedrigen Fruchtfolge drei konventionell angebaute Kulturen wie Weizen und Raps folgen, dann wäre die Farm-to-Fork-Strategie ohne deutliche Ertragsverluste elegant umgesetzt!

Wir sollten also wesentlich mehr als bisher testen, was geht und weniger darüber klagen, was nicht geht. Und wir sollten weniger in den "reinen Lehren“ verharren.

Herr Professor Taube, vielen Dank für das Gespräch!

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Letzte Aktualisierung 18.07.2024

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