Machbarkeitsstudie Machbarkeitsstudie

Studie stützt Borchert-Pläne zum Umbau der Tierhaltung

Die Machbarkeitsstudie zu den Empfehlungen der Borchert-Kommission zeigt: Eine Verbesserung des Tierwohlniveaus in der Nutztierhaltung ist machbar. Es gibt allerdings unterschiedliche Ansichten über die Höhe der Kosten und die Form der Finanzierung.

Am 2. März 2021 hat die damalige Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner die lange ersehnte Machbarkeitsstudie zu den Vorschlägen des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung vorgestellt. Das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung – bekannt auch als Borchert-Kommission – wurde 2019 vom BMEL ins Leben gerufen, um Vorschläge zu erarbeiten, wie sich das Tierwohl in der Nutztierhaltung in Deutschland spürbar verbessern und die negativen Wirkungen auf die Umwelt deutlich mindern lassen.

Die Borchert-Kommission legte ihre Ergebnisse im Februar 2020 vor. Das Expertengremium war sich darin einig, dass eine substanzielle Verbesserung des Tierwohlniveaus in Deutschland bei weitem nicht über den Markt – das heißt also allein mit Tierwohllabeln und an Verbraucherinnen und Verbraucher gerichteten Informationskampagnen – erreicht werden kann. Ein Großteil der Mehrkosten für die tiergerechteren Haltungsverfahren, so die Experten, müsse in Form einer langfristig angelegten staatlichen Förderung kompensiert werden. Nur so könne man hinreichende Effekte erzielen. Das Geld dafür solle aus einer Mehrwertsteuererhöhung oder aus einer ergänzenden Verbrauchssteuer auf tierische Produkte kommen.

Empfehlungen des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung

Um zu prüfen, ob die von der Borchert-Kommission gemachten Vorschläge aus rechtlicher Sicht umzusetzen sind, beauftragte das BMEL im Herbst 2020 ein Gutachterteam, bestehend aus Fachjuristen. Deren 276 Seiten starkes Gutachten wurde am 2. März 2021 veröffentlicht. Grundsätzlich, so das Fazit des Gutachtens, seien die Vorschläge der Borchert-Kommission aus rechtlicher Sicht weitgehend umsetzbar. Man komme jedoch nicht umhin, an verschiedenen Stellen rechtliche Anpassungen vorzunehmen.

Das Expertenteam favorisiert in seinem Gutachten zudem eine andere Form der Finanzierung als die Borchert-Kommission und kam in ihren Kalkulationen auch auf höhere Kosten für den Umbau der Tierhaltung.

Was soll der Umbau der Tierhaltung in Deutschland kosten?

Die Borchert-Kommission hatte in ihrer Ausarbeitung von Februar 2020 vorgeschlagen, den Erzeugerinnen und Erzeugern die höheren Kosten tiergerechter Haltungsverfahren durch staatliche Fördermittel zu 80 bis 90 Prozent auszugleichen. Und zwar mit einer Kombination aus Prämien zur Abdeckung der laufenden Kosten und einer Investitionsförderung.

Nach Berechnungen der Borchert-Kommission würden dadurch zu Beginn der Umstellung (etwa im Jahr 2025) jährlich Kosten in Höhe von 1,2 Milliarden Euro nötig werden. Mit zunehmendem Umfang der Umstellungsmaßnahmen würden sich diese Kosten dann auf 2,4 Milliarden ab 2030 und auf 3,6 Milliarden ab 2040 steigern.

Laut der Machbarkeitsstudie wird dieses Geld nicht ausreichen. Die Verfasser der Studie gehen nach eigenen Kalkulationen von 2,9 Milliarden Euro in 2025, 4,3 Milliarden Euro in 2030 und 4,0 Milliarden Euro in 2040 aus.

Wie soll die Förderung finanziert werden?

Die Borchert-Kommission schlug in ihrer Studie im Wesentlichen zwei Möglichkeiten vor, wie sich die Kosten des Umbaus finanzieren lassen: Durch die Einführung einer Verbrauchssteuer auf tierische Produkte oder die Anhebung des Mehrwertsteuersatzes. Bei beiden Methoden ergäbe sich eine positive Lenkungswirkung dadurch, dass nur Konsumentinnen und Konsumenten tierischer Produkte die höheren Kosten für die tiergerechtere Haltung tragen müssten. Außerdem würden die Verbraucher proportional zu ihrem Verbrauch belastet. Oder anders gesagt: Wer mehr Fleisch isst, zahlt auch mehr.

Doch es gibt auch entscheidende Unterschiede: Während sich die Verbrauchssteuer auf die von den Endkundinnen und Endkunden erworbene Menge an tierischen Produkten bezieht, ist die Bezugsgröße der Mehrwertsteuer der Warenwert. Eine Mehrwertsteuererhöhung hätte somit auch einen negativen Lenkungseffekt. Nämlich den, dass besonders nachhaltig und tiergerecht erzeugte Produkte, die sowieso schon deutlich teurer sind – wie zum Beispiel Bio-Produkte –, unverhältnismäßig benachteiligt würden (siehe Beispielkalkulation unten). Bei der Verbrauchssteuer wäre das nicht der Fall, weil sie sich allein auf die Verbrauchsmenge bezieht.

So unterschiedlich wirkt sich eine Mehrwertsteuererhöhung auf ein Kilogramm Hähnchenbrust ökologischer und konventioneller Herkunft aus:

 konventionellöko
kostet bei 7 % Mehrwertsteuer7,00 Euro30 Euro
kostet bei 19 % Mehrwertsteuer7,78 Euro33,37 Euro
Mehrkosten durch die Mehrwertsteuer-Erhöhung0,78 Euro3,37 Euro

 

Borchert-Kommission spricht sich für Verbrauchssteuer aus

Ein weiterer Unterschied laut Borchert-Kommission besteht darin, dass die Mehreinnahmen aus einer Umsatzsteuererhöhung – im Gegensatz zu solchen aus der Verbrauchssteuer – nicht zwangsläufig zum Umbau der Tierhaltung verwendet werden müssten. Es gäbe zudem Probleme hinsichtlich der Verteilung der Gelder: Während die Verbrauchssteuer in vollem Umfang dem Bund zufließe, sei das bei der Mehrwertsteuer nur zur Hälfte der Fall. Die andere Hälfte gehe an die Bundesländer. Die Borchert-Kommission befürchtet daher, dass es aufgrund der ungleichen Verteilung der Tierhaltung in Deutschland nicht zu einer gerechten Aufteilung der Gelder kommen könne. Aus diesen Gründen sprach sich die Borchert-Kommission damals für die Verbrauchssteuer aus.

Verfasser der Machbarkeitsstudie bevorzugen Umsatzsteuererhöhung

Die Verfasser der Machbarkeitsstudie sehen das anders. Sie bestätigen zwar die negative Lenkungswirkung der Mehrwertsteuererhöhung in Bezug auf besonders tiergerechte und damit höherpreisige Produkte. Sie geben jedoch zu bedenken, dass das System der Verbrauchssteuer für tierische Produkte komplett neu etabliert werden müsste, was enorme Verwaltungskosten mit sich brächte. Die Mehrwertsteuererhöhung ließe sich dagegen mit einem sehr viel geringeren Verwaltungs(kosten)aufwand umsetzen, da hier auf ein etabliertes System zurückgegriffen werden kann.

Die Befürchtungen der Borchert-Kommission, die Mehreinnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung müssten – anders als bei der Verbrauchssteuer – nicht zwangsläufig zweckgebunden für den Umbau der Tierhaltung verwendet werden, konnten die Gutachter zerstreuen. Es ließe sich ordnungsrechtlich regeln, dass dieses Geld ausschließlich der Verbesserung des Tierwohls zugutekomme. Auch die Sorge, dass die Mehrwertsteuer aufgrund eines vorgegebenen Verteilschlüssels den Ländern mit viel Tierhaltung nur unzureichend zugutekäme, ist aus Sicht der Gutachter unnötig. Auch hier gäbe es gesetzgeberischen Spielraum für eine gerechte Verteilung der Gelder.

Insbesondere wegen des erheblich geringeren Verwaltungsaufwands geben die Verfasser der Machbarkeitsstudie daher der Mehrwertsteuererhöhung den Vorzug.

Benachteiligung anderer EU-Mitgliedsstaaten

Ein Kernproblem sehen die Gutachter aber vor allem darin, dass sowohl die Verbrauchssteuer als auch die Mehrwertsteueranhebung für tierische Produkte EU-rechtlich als "diskriminierende inländische Steuer" gewertet werden könnten. Denn die Steuern würden ja nicht nur auf deutsche Erzeugnisse erhoben, sondern auch auf solche aus anderen Mitgliedsländern. Deren Erzeugerinnen und Erzeuger könnten aber nicht an der deutschen Tierwohlförderung partizipieren.

Umgehen ließe sich dieses Problem aus Sicht der Gutachter, wenn die Mehrwertsteueranhebung nicht allein auf tierische Produkte bezogen würde, sondern auf alle Lebensmittel. In diesem Fall wäre auch keine Anhebung auf den Normsatz von 19 Prozent nötig. Bereits eine Anhebung des Mehrwertsteuersatzes auf knapp unter zehn Prozent würde ausreichen, um die Gesamtkosten des Umbaus der Tierhaltung zu decken. Ungerecht wäre diese Form der Steuererhöhung allerdings für jene, die wenig oder gar keine tierischen Produkte konsumieren.

Machbarkeitsstudie schlägt Tierwohl-Soli vor

Neben den genannten Steuern kommt für das Gutachterteam noch eine, von der Borchert-Kommission bislang nicht in Betracht gezogene, "Ergänzungsabgabe Tierwohl" auf die Einkommenssteuer infrage. Ähnlich wie der Solidaritätszuschlag würde diese, auch als "Tierwohl-Soli" bezeichnete Abgabe als Ergänzung zur Einkommenssteuer eingezogen. Der Verwaltungskostenaufwand wäre laut Machbarkeitsstudie "moderat". Und weil der Tierwohl-Soli nicht am Verbrauch gemessen würde, wirke diese Steuer auch nicht diskriminierend auf andere Mitgliedsländer der EU. Ungerecht wäre diese Ergänzungsabgabe allerdings wieder für jene, die wenig oder keine tierischen Erzeugnisse konsumieren. Denn hierbei würde jeder Bundesbürger unabhängig vom Verbrauch zur Kasse gebeten.

Ohne sozialen Ausgleich geht es nicht

Werden die geplanten Fördermaßnahmen über eine Abgabe auf tierische Nahrungsmittel finanziert, führe dies aus Sicht der Gutachter zu einer Mehrbelastung für Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich insbesondere auf Angehörige niedrigerer Einkommensgruppen auswirke. Die Gutachter raten daher – ebenso wie das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung – die geplanten Maßnahmen sozial zu flankieren, zum Beispiel durch eine Erhöhung der Hartz-IV-Sätze oder die Absenkung der Einkommensteuer in niedrigen Einkommensgruppen. Im Falle des Tierwohl-Solis könne man die steuerliche Mehrbelastung für untere Einkommensgruppen über entsprechende Staffelungen anpassen.

Nach der letzten Bundestagswahl hat das Kompetenznetzwerk am 8. September 2022 ein neues Mandat erhalten. Das Netzwerk hatte das Mandat angenommen, jedoch erklärt, seine Arbeit vorerst ruhen zu lassen und dies damit begründet, dass zunächst eine Einigung über eine langfristig gesicherte und staatlich finanzierte Tierwohlprämie erzielt werden müsse. Am 2. Juni 2023 hat das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung beschlossen, seine Arbeit fortzusetzen. Im August 2023 entschied es schließlich, seine Arbeit zu beenden.

Letzte Aktualisierung 16.07.2024

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