Interview: Zoonosen und Klimawandel Interview: Zoonosen und Klimawandel

Zoonosen und Klimawandel: Gefahr im Stall?

Zwischen Tier und Mensch übertragbare Infektionskrankheiten, so genannte Zoonosen, haben in den letzten Jahren weltweit an Bedeutung gewonnen. Im Interview erklärt Dr. Klaas Dietze vom Friedrich-Loeffler-Institut, wie der Klimawandel dazu beiträgt und warum Schweine bei Zoonosen eine besondere Rolle spielen.

Zoonosen, also Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden, sind weltweit ein wichtiges Thema in der öffentlichen Gesundheit. Schweine als bedeutender Bestandteil der globalen Nahrungsmittelproduktion stehen dabei besonders im Fokus, ebenso wie die Frage, ob der Klimawandel das Auftreten und die Verbreitung von Zoonosen beeinflusst.

Dr. Klaas Dietze arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Internationale Tiergesundheit/One Health (IITG) des Friedrich-Loeffler-Instituts auf der Insel Riems. Im Interview erklärt er, warum das Schwein so im Fokus steht und gibt einen Überblick, welche Zoonosen im Zusammenhang mit Schweinen eine Rolle spielen.

Herr Dr. Dietze, seit Corona kennen viele den Begriff Zoonose. Doch was bedeutet Zoonose genau?

Dr. Klaas Dietze: Wir kennen viele Krankheitserreger, die zwischen unterschiedlichen Wirbeltierarten übertragen werden können. Unter Zoonosen verstehen wir die, bei der eines der Wirbeltiere der Mensch ist. Wir Menschen sehen das oft etwas egoistisch, dass wir uns anstecken könnten, aber der Weg geht auch andersherum, auch wir können Tiere anstecken. Ein Beispiel ist SARS-CoV-2. Das Coronavirus, das Anfang 2020 die COVID-19 Pandemie verursacht hat, infiziert auch Katzen, die sich beim Menschen angesteckt haben. 

Genau wissen wir ja immer noch nicht, woher das Virus kommt, aber wir gehen davon aus, dass es aus dem Tierreich stammt und in Asien auf den Menschen übergesprungen ist. Später wurden auch Nerzfarmen durch Kontakt mit Menschen infiziert. Die Übertragungswege bei Zoonosen sind äußerst vielfältig, direkt vom infizierten Tier auf den Menschen oder umgekehrt, aber auch indirekt durch Vektoren wie Stechmücken, die Erreger von A nach B tragen. Wir Menschen halten gerne Tiere, essen sie oder nutzen ihre Eier und Milch. Doch all diese Produkte können mit Krankheitserregern behaftet sein. Tuberkulose-Erreger in der Rohmilch sind ein Beispiel dafür. In Deutschland ist dies selten, da die Rindertuberkulose erfolgreich staatlich bekämpft wird und wir wenig Rohmilch konsumieren. Aber in anderen Ländern sieht das ganz anders aus.

Hat der Klimawandel tatsächlich einen Einfluss auf die Zunahme von Zoonosen?

Dr. Klaas Dietze: Diese Frage lässt sich nicht leicht beantworten. Wenn man das global betrachtet, ergibt sich ein anderes Bild als hierzulande. Der Klimawandel stört die Gleichgewichte in den Ökosystemen. Veränderungen gab es immer, doch die Intensität der Extremwetterereignisse nimmt zu. Starkregen, Dürre, große Hitze und Kälteeinbrüche häufen sich. In Deutschland ändern sich also die Verhältnisse. Wärmere Winter schaffen für bestimmte Erreger und Vektoren ein günstiges Klima. Anders als früher überwintern die Vektoren nun erfolgreich.

Wir haben in der EU einen sehr hohen Tiergesundheitsstatus, deshalb ist das Auftreten von neuen Erregern und Vektoren eine Gefahr, der wir uns gemeinschaftlich stellen müssen. Nach vielen Jahrzehnten erfolgreicher europäischer Tierseuchenbekämpfung haben wir einst weit verbreitete Krankheiten aus unseren Schweinebeständen nahezu verbannt. Die Brucellose oder die Trichinellose beispielsweise spielen kaum noch eine Rolle.

Wir stehen vor neuen Herausforderungen durch neue Erreger, während andere Länder bereits länger mit diesen Problemen kämpfen. Möglicherweise profitieren sie sogar davon, dass ihre Erreger nun auch bei uns eine Rolle spielen. Dadurch erhalten die Krankheiten mehr Aufmerksamkeit und es wird intensiver an deren Bekämpfung geforscht. Die Erreger und Vektoren verschieben und verteilen sich anders durch den Klimawandel. Einige Regionen werden trockener, wodurch bestimmte Vektoren dort nicht mehr überleben können, während sie bei uns plötzlich auftreten. Vektoren sind wichtig, denn wenn der geeignete Vektor einmal vorhanden ist, kann der Erreger folgen. Ohne Vektor ist dies nicht möglich.

Auch die Globalisierung dürfen wir in der Gleichung nicht außen vor lassen. Sie bringt Menschen, Tiere, deren Produkte und das breite Spektrum an Erregern näher zusammen. Sie merken, es gibt keine einfache Antwort auf diese komplexe Situation, aber wir müssen uns der Gefahr bewusst sein. 

Was sind Vektoren?

Vektoren sind lebende Organismen, die Krankheitserreger von einem Wirt zum nächsten tragen, ohne selbst zu erkranken. Sie spielen eine zentrale Rolle bei der Verbreitung zahlreicher Infektionskrankheiten. Vektoren sind meist blutsaugende Insekten wie Mücken, Zecken, Flöhe und die Tsetsefliege. Daneben gibt es Vektoren, die Krankheitserreger rein mechanisch übertragen, wie z.B. Fliegen.

Vektoren nehmen Krankheitserreger auf, indem sie Blut von einem infizierten Wirt saugen. Im Vektor vermehren sich die Erreger oder entwickeln sich weiter. Beim nächsten Biss geben die Vektoren die Krankheitserreger mit ihrem Speichel oder anderen Körperflüssigkeiten an einen neuen Wirt ab.

Wie ist die Situation beim Schwein? Welche Zoonosen gibt es aktuell?

Dr. Klaas Dietze: Mehrere Erreger rücken beim Schwein in den Fokus. Derzeit konzentriert man sich auf Keime, die mit Produkten assoziiert sind, wie Bakterien im Schweinefleisch, etwa Salmonellen. Dafür haben wir ein Monitoring, um zu schauen, wie es in den Betrieben und auf dem Schlachthof aussieht. Bei den viralen Infektionen beobachtet man bestimmte Influenza-A-Viren, die auch beim Hausschwein schwere Verläufe verursachen können. Aber auch das Hepatitis-E-Virus spielt eine Rolle, welches beim Schwein nicht das große Problem macht, aber dann beim Menschen auffällig wird.

Auch antibiotikaresistente Keime gehören zu den Krankheitserregern, die unsere Aufmerksamkeit erfordern. Beispielsweise MRSA, also Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus, kommt bei Schweinen und tierhaltenden Personen vor. Dieser bakterielle Erreger, ebenso wie Streptococcus suis, wird als Zoonose kategorisiert, die zwischen Schweinen und Menschen übertragen werden kann. Weltweit treten bei Schweinen immer wieder virale Infektionen auf, etwa durch das Nipah-Virus, die Japan-Enzephalitis in Asien oder auch Ebola. Da wir bei uns Vektoren haben, die theoretisch auch einige dieser Erreger übertragen können, ist es wichtig, auch diese Krankheiten beim Schwein im Auge zu behalten. Die Trichinellose ist zwar bei uns kaum noch relevant, bleibt jedoch in Lateinamerika und Afrika ein großes Problem, da dort die Fleischbeschau und Lebensmittelkontrolle weniger konsequent umgesetzt werden. 

Nimmt das Schwein unter den Nutztieren eine besondere Rolle im Hinblick auf Zoonosen ein?

Dr. Klaas Dietze: Ja, denn das Schwein ist dem Menschen in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich. Diese Ähnlichkeit zeigt sich besonders in der Transplantationsmedizin, wo intensiv erforscht wird, wie man Organe vom Schwein in den menschlichen Körper transplantieren kann. Einige Erreger nutzen genau diese Gemeinsamkeiten, indem sie die gleichen Rezeptoren verwenden und so leicht zwischen Mensch und Tier übertragen werden können. Als Beispiel können wir die Influenza nehmen. Das Schwein verfügt über mehrere Rezeptoren für verschiedene Influenzaviren. Es kann von klassischen Schweineinfluenzaviren, humanen Influenzaviren und auch aviären Influenzaviren infiziert werden. Dazu muss man wissen: Influenzaviren haben ein segmentiertes, also "zerstückeltes" Erbgut, das sie in den Zellen der Tiere vermehren, die sie infiziert haben. Das Virus repliziert sich, es werden sehr viele Kopien gemacht, und dann setzt sich das Virus wieder neu zusammen. Beim Erstellen der Kopien passieren auch Fehler, das sind die Mutationen. Sind verschiedene Subtypen der Influenza in der Zelle, wird es chaotisch, weil die Viren ihr segmentiertes Erbgut vermischen können. Die meisten dieser neuen Mischviren sind nicht überlebensfähig, doch gelegentlich entsteht ein Virus, das Menschen stark krank macht. Je häufiger Schweine mit verschiedenen Influenzaviren infiziert sind, desto höher ist diese Wahrscheinlichkeit.

Hinzu kommt: In Deutschland schlachten wir jährlich über 40 Millionen Schweine. Diese Menge birgt ein hohes Erregerpotenzial, da Nutztiere dichter als ihre wilden Verwandten leben. Diese dichte Haltung fördert die Vermehrung von Erregern. Die Art und Weise, wie die Tiere gehalten werden, hat also einen Einfluss auf das Zoonose-Risiko, und beim Schwein kommt noch hinzu, dass wir Schweinefleisch zum Teil roh verzehren.

Welche Erreger hat man schon jetzt im Blick, die zukünftig zur Bedrohung werden könnten?

Dr. Klaas Dietze: Auf jeden Fall die bereits genannte Influenza. Aktuell zeigt sich in den USA, dass Geflügelinfluenzaviren Kühe über das Euter infizieren können. Früher hieß es immer, Kühe infizieren sich nicht, aber man hat dabei nur an den klassischen Infektionsweg über die Atemwege gedacht, um das zu testen. Auch wir hier am FLI haben mit dem Isolat aus den USA diese Tests gemacht und festgestellt, dass über die Atemwege keine Infektion erfolgt. Doch als die Infektion ins Euter gesetzt wurde, konnte sich das Virus replizieren. Nun ist klar, dass auch die hier kursierenden Geflügelinfluenzastämme Kühe über das Euter infizieren können. Dieser Weg ist untypisch, es ist kein klassischer Infektionsweg, doch wenn das Virus im Euter ist, wird es sehr aktiv mit hoher Viruslast und überträgt sich beim Melken auf andere Kühe.

Darüber hinaus haben wir die so genannte stille Pandemie in Form von resistenten Keimen wie MRSA im Blick. Die Schweinehaltung ist weltweit ein antibiotikaintensives Geschäft, deshalb steht die Bekämpfung der Antibiotikaresistenzen ganz weit oben auf unserer Agenda, global wie national. Weitere Viren stehen derzeit vielleicht nicht unmittelbar vor der Tür, aber die bereits erwähnten Viren wie das Japan Enzephalitis Virus sowie das sich verändernde Spektrum der vorkommenden Vektoren sollten wir schon im Auge behalten.

Welche Bevölkerungsgruppen sind am stärksten durch Zoonosen betroffen und wie könnte ihr Schutz aussehen?

Dr. Klaas Dietze: Immunsupprimierte Menschen sind ja allgemein gefährdeter als andere was Infektionserkrankungen betrifft. Bei Zoonosen ist nochmal besondere Vorsicht geboten, da die Ansteckung oft unerwartet von einem scheinbar gesunden Tier oder einem Lebensmittel ausgeht. Ansonsten bemisst sich die Gefahr an der Exposition zum Erreger. Lebensmittelbedingte Zoonosen lassen sich durch sorgfältige Hygiene kontrollieren. Zudem sollte jeder überlegen, wie eng der Kontakt zu Tieren sein sollte, besonders wenn man sie nicht gut kennt.

Landwirtinnen und Landwirte sowie Tierhaltende sind durch den häufigen direkten Kontakt mit Tieren einem erhöhten Risiko für kontaktübertragene Zoonosen ausgesetzt. Ähnlich ergeht es Tierärzten, Schlachthofmitarbeitern und Transporteuren. Aber das sind meistens auch fachkundige Personen, die merken, wenn etwas im Bestand nicht richtig läuft. Sie sind über Zoonosen informiert und wissen, dass sie im Umgang mit kranken Tieren vorsichtig sein müssen. Hygiene und Biosicherheitsmaßnahmen sind hier entscheidend, um den Kontakt mit infektiösem Material zu minimieren und Menschen zu schützen. Impfungen, sofern verfügbar, bieten hervorragenden Schutz, da sie den Erregerdruck senken und Infektionsmöglichkeiten verringern.

Welche Ansätze gibt es, die Gefahr durch Zoonosen möglichst gering zu halten sowohl von staatlicher Seite als auch seitens der Tierhalter?

Dr. Klaas Dietze: Unsere Behörden verfügen über effektive Früherkennungssysteme für Tierseuchen. Es gibt eine Meldepflicht und regelmäßige Übungen zur Bekämpfung. Auch die Lebensmittelüberwachung in Deutschland funktioniert sehr gut. Wenn ich hier als Verbraucherin oder Verbraucher in ein Geschäft gehe und eine Wurst kaufe, ist das in der Regel unbedenklich. Das ist bei einem Mettbrötchen in Südostasien anders. Aktuell sind wir gut aufgestellt, doch es gibt immer Raum für Verbesserungen. Wir alle sollten unsere Kommunikationswege zwischen Veterinärämtern, weiteren Behörden und der Landwirtschaft optimieren. Kranke tierhaltende Personen, vor allem mit Symptomen einer Atemwegserkrankung, sollten nicht zu ihren Schweinen gehen. Wer in schweinehaltenden Betrieben arbeitet, sollte sich gegen Influenza impfen lassen. Wir müssen humane Influenzaviren aus Schweineställen fernhalten, denn bei Zoonosen gilt es, in beide Richtungen zu denken. Salmonellen werden ja auch teilweise von Menschen in die Betriebe gebracht. Jeder, der ein Tier hält, hat eine Verantwortung, das Bewusstsein ist wichtig. Der Mensch spielt die Schlüsselrolle und muss sein Verhalten anpassen. Auch die neue Tiergesundheitsgesetzgebung der EU betont stark die Eigenverantwortung der Tierhaltenden. 

Herr Dr. Dietze, vielen Dank für das Interview!


Letzte Aktualisierung 30.12.2024

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