Tierwohl am Schlachthof erfassen Tierwohl am Schlachthof erfassen

Tierwohl am Schlachthof erfassen

Im Forschungsvorhaben "Automatisierte Erfassung von Tierwohlindikatoren bei Geflügel (AutoWohl)" wurden neue Messsysteme getestet und weiterentwickelt, mit denen Indikatoren des Tierwohls von Masthühnern und Puten – am Schlachthof und im Bestand – automatisch bewertet werden können. Mit den neuen Systemen sollen möglichst alle Tiere einer Herde erfasst und der personelle Aufwand der Tierkontrolle reduziert werden.

In der Geflügelhaltung gibt es verschiedene Anhaltspunkte, die aufzeigen, ob sich Masthühner und Puten in ihrer Umwelt wohlfühlen oder ob ein Betrieb mit Problemen zu kämpfen hat. Bei Masthühnern zählen Fußballen- und Fersenhöckerveränderungen zu den Indikatoren des Tierwohls. Bei Puten sind es unter anderem die Schäden an der Brusthaut.

Doch wer sein Geflügel beständig in Augenschein nimmt, gewinnt einen guten Eindruck vom Zustand der Tiere und kann vorbeugen. Das kostet jedoch Zeit. Und je nach den Erfahrungen und dem Geschick des Beurteilers werden die Ergebnisse unterschiedlich ausfallen. Außerdem ist es nicht möglich, stets alle Tiere eines Bestandes genau zu untersuchen. Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es, Probleme auf dem Geflügelbetrieb frühzeitig zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken?

Kameras bewerten automatisch

Viele große Geflügelschlachthöfe nutzen zur Indikation des Tierwohls seit Jahren Kamerasysteme. Diese erfassen zum Beispiel Fußballen- und Fersenhöckerveränderungen automatisch. Im QS Leitfaden Befunddaten in der Geflügelschlachtung (PDF) ist das automatische Bewerten der Fußballengesundheit aller Tiere einer Partie ab einer Schlachtkapazität von mehr als 4000 Masthühnern oder 500 Puten pro Stunde sogar vorgeschrieben. Und für die Haltung von Puten wurde das so genannte "Scoring" von Fußballenveränderungen (Einordnung der Messergebnisse in ein Klassifizierungssystem) bereits vor einigen Jahren als Benchmark – also als Vergleichssystem – etabliert.

Doch wie valide sind Kamerasysteme, die Tierwohlindikatoren automatisch messen? Und liefern sie wirklich wiederholbare Ergebnisse, die sich vergleichen lassen? In einem vom Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung geförderten Verbundprojekt "AutoWohl" (Automatisierte Erfassung von Tierwohlindikatoren bei Geflügel) gingen wissenschaftliche Institutionen, Industrieunternehmen und Praxisbetriebe gemeinsam dieser Fragestellung nach. Sie untersuchten, wie vorhandene Kamerasysteme optimiert werden können, überprüften die aktuell genutzten Klassifizierungssysteme und suchten nach neuen Methoden zur automatischen Erhebung von Tierwohlindikatoren. Die Ergebnisse der automatischen Bewertung verglichen die Fachleute mit Resultaten, die parallel bei einer manuellen Bearbeitung erzielt wurden.

Bei Mastgeflügel lagen die Schwerpunkte auf dem automatischen Erkennen und Bewerten von Fußballenschäden, HockBurn (Kontaktdermatitis am Fersenhöcker) sowie von Brusthautveränderungen bei Puten am Schlachthof. Auch das automatische Früherkennen von Verhaltensproblemen bei Puten im Stall stand im Fokus.

Fußballenveränderungen

Um bei den Tieren einer Schlachtlinie Fußballenveränderungen automatisch zu identifizieren, gleicht eine Kamera die Größe der (eventuell) veränderten Fußballenhaut des Mittelfußballens mit einer Referenzfläche ab. Der Wert wird automatisch in ein Klassifizierungssystem übertragen (vierstufiges System bei Masthühnern, fünfstufiges System bei Puten), das neben der visuellen Ausdehnung der Fußballenschäden auch deren Tiefe berücksichtigt. Im Projekt wurden in Bezug auf die Fußballenveränderungen folgende Ergebnisse erzielt:

  1. Die Resultate der Kamerasysteme stimmten zwar weitgehend mit denen der manuellen Beurteilung überein, einige Unterschiede waren jedoch feststellbar.
  2. Die genaue Abgrenzung des Mittelfußballens als Referenzfläche erwies sich als schwierig; die erfasste Fläche war häufig zu groß.
  3. Weil es kleine und dunkle Veränderungen nicht erkannte, unterschätzte das Kamerasystem häufiger den Schweregrad einer Fußballenläsion. Hier sind weitere Anpassungen der Software notwendig – ein lösbares Problem.
  4. Wenn Hühner- oder Putenfüße schief eingehängt worden waren, traten bei der Erfassung von Fußballenveränderungen häufiger Fehler auf.
  5. Auch die Lichtverhältnisse beeinflussten das korrekte Erkennen von Fußballenveränderungen.

Die Erkenntnis aus dem Projekt: Eine zuverlässige Bewertung ist deshalb nur möglich, wenn

  • das Kameragehäuse beziehungsweise die Sichtscheibe der Kamera sauber sind,
  • die Schlachtlinie mit ausreichender Lichtstärke korrekt ausgeleuchtet wird,
  • störende externe Lichtquellen ausgeschaltet sind und
  • die Funktionalität des Kamerasystems regelmäßig überprüft und validiert wird. Gegebenenfalls ist ein Nachjustieren erforderlich.

Hock Burn (Kontaktdermatitis am Fersenhöcker)

Für die automatisierte Bewertung der Kontaktdermatitis am Fersenhöcker (Hock Burn) nutzen viele Schlachtbetriebe heute schon ein Kamerasystem mit Bildverarbeitung. Diese Technik erkennt veränderte dunkle Stellen an den Fersenhöckern, setzt sie in Relation zu einem Referenzbereich und ordnet sie in ein Klassifizierungssystem ein. Im Projekt wurden in Bezug auf die Kontaktdermatitis am Fersenhöcker folgende Ergebnisse erzielt:

  1. Die Resultate der Kamerasysteme stimmten zwar weitgehend mit denen der manuellen Beurteilung überein, einige Unterschiede waren jedoch feststellbar.
  2. Die genaue Abgrenzung des Referenzbereiches erwies sich als schwierig, die erfasste Fläche war oft zu groß.
  3. Fehler traten bei der Beurteilung der Schwere der Verletzungen auf, die Feinabstufung der makroskopischen Beurteilung war teilweise zu ungenau. Zum Beispiel erwiesen sich optisch als klein eingestufte Läsionen bereits als Ulzerationen (Geschwüre).
  4. Wenn Tiere nicht korrekt eingehängt worden waren und zum Beispiel durch benachbarte Tiere verdeckt wurden, traten bei der Beurteilung von Fußballenveränderungen häufiger Fehler auf. Auch verschmutzte Beine erwiesen sich als Fehlerquelle.

Brusthautveränderungen bei Puten

Für Betriebe mit QS-Zertifikat ist es seit Anfang 2020 Pflicht, Brusthautveränderungen bei Puten zu erfassen. Leider existiert bislang noch kein marktfähiges System, das eine automatische Erhebung der Schäden ermöglicht.

Ein deutscher Schlachthof (der sich ebenfalls am Autowohl-Projekt beteiligte) hat auf seinem Betrieb jedoch bereits den Prototypen eines Kamerasystems installiert, mit dem er so genannte Breast Buttons (nekrotische Veränderungen der Brusthaut) und Brustblasen (flüssigkeitsgefüllte Umfangsvermehrungen an der Brusthaut) erkennen und ihre Ausprägung bewerten kann. Bei dem System handelt es sich um ein kombiniertes, so genanntes 3D-RGB Kamerasystem, das farbige 3D-Punktwolken vom Schlachtkörper erzeugt. Die Auswertung der Ergebnisse erfolgt in einem vierstufigen Bewertungssystem.

Auch dieses System wurde im Autowohl-Projekt unter die Lupe genommen und die Ergebnisse seiner Bewertung mit einer manuellen Bewertung verglichen:

  • Breast Buttons treten wesentlich häufiger auf als Brustblasen. Die Prävalenz des Auftretens von Brustblasen kann als gering eingeschätzt werden.
  • Hähne sind öfter von Breast Buttons und Brustblasen betroffen als Hennen.
  • Das 3D-RGB Kamerasystem erkennt Breast Buttons recht zuverlässig. Es besteht jedoch weiterer Optimierungsbedarf.
  • In Bezug auf das Erkennen von Brustblasen arbeitet der vorhandene Kameraprototyp noch nicht befriedigend. Es ist deshalb nötig, weitere Techniken zu erproben, zum Beispiel Nah-Infrarot-Systeme. Daran wird derzeit gearbeitet.
  • Um die Ergebnisse einer automatischen Erfassung von Brusthautveränderungen bei Puten vergleichbar zu machen (zum Beispiel zwischen verschiedenen Schlachthöfen), muss an der Standardisierung der Systeme weiter gearbeitet werden.

Verhalten von Puten – Hautverletzungen (Kratzverletzungen)

Weil während der Erhebungen im Rahmen des Autowohl-Projektes bei den Puten sehr häufig Kratzverletzungen – insbesondere auf dem Rücken der Tiere – registriert wurden, stellten sich die Verantwortlichen des Projektes zusätzlich der Frage, ob es möglich ist, auch Verhaltensprobleme im Putenbestand automatisch zu erfassen. Hierzu testeten beziehungsweise entwickelten sie zwei Prototypen, die sich für den Einsatz im Stall eignen und das Bewegungs- und Pickverhalten der Tiere – und damit die Prävalenz der Herde zum Kannibalismus – kontinuierlich erfassen könnten:

  1. Ein bildverarbeitendes Kamerasystem, das bisher auf Entenschlachthöfen genutzt wurde. Derzeit wird an der Entwicklung von Algorithmen zur Auswertung von Pick-Verletzungen gearbeitet.
  2. Ein so genanntes Machine Learning Modell. Hierzu werden im Stall Metallkugeln installiert, die mit akustischen Sensoren ausgestattet sind. Das System soll aus den Audio-Daten Pickschläge herausfiltern und auf diese Weise die Pickaktivität im Stall messen. Im Versuch war das System tatsächlich in der Lage, Pickschläge zuverlässig zu erkennen, und zwar mit einer Genauigkeit von mehr als 90 Prozent.

Insgesamt jedoch hat sich die Entwicklung der Systeme, die das Bewegungs- und Pickverhalten bei Puten im Stall erfassen, als äußerst komplex erwiesen. So erscheinen die Zusammenhänge zwischen gemessener Pickaktivität und Kannibalismus nach ersten Auswertungen weniger eindeutig als zunächst angenommen. Es sind also weitere Arbeiten notwendig, um die Systeme praxistauglich zu machen.

Letzte Aktualisierung 30.11.2021

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