Betriebsreportage: InjektionsnarkoseBetriebsreportage: Injektionsnarkose

Injektionsnarkose mit Ketamin und Azaperon

"Ein Schnitt, ein Schrei, schon ist es vorbei", lautete früher ein etwas flapsiger Ausspruch der so genannten "Sauschneider", die über die Lande zogen und auf den Höfen die Ferkel kastrierten - natürlich ohne Betäubung.

Klassische Sauschneider gibt es fast keine mehr und auch mit dem betäubungslosen Kastrieren ist 2021 nun endgültig Schluss. Etliche Betriebe arbeiten schon heute erfolgreich mit alternativen Methoden zur betäubungslosen Ferkelkastration und zeigen auf diesem Weg denen machbare Lösungswege auf, die noch umstellen müssen.

So auch der Betrieb von Familie Herrmann in Blaubach, gelegen in Hohenlohe im nördlichen Baden-Württemberg, der sich für die Injektionsnarkose entschieden hat. „Wir sind gemeinsam mit unserer Tierärztin alle Verfahren durchgegangen und halten das für uns für die beste Lösung“, sagt Landwirtschaftsmeister Matthias Herrmann, der den elterlichen Betrieb mit 82 Hektar Ackerbau, 170 Sauen (Baden-Württembergische Hybriden, 26 aufgezogene Ferkel/Sau, 2,3 Würfe/Sau/Jahr) und 1.000 Mastplätzen zusammen mit seinem Vater seit 2012 als GbR führt. Die Milchviehhaltung hat die Familie vor zwei Jahren aufgegeben.

Dass die Familie heute im geschlossenen System arbeitet, war zunächst nicht absehbar. „Ursprünglich wollten wir uns auf Ferkelerzeugung spezialisieren und auf 300 Sauen ausbauen. Die Marktsituation mit den niedrigen Ferkelpreisen, zudem die aufkommende Diskussion um Tierhaltungsstandards, hat uns dann aber dahin gebracht, dass wir lieber in Mast investieren und dabei neue Wege gehen“, erinnert sich Senior-Chef Hans-Dieter Herrmann. Vor vier Jahren wurde daher in einen Pig-Port-Offenstall – also mit Auslauf und Strohfläche - für das Edeka Hofglück-Qualitätsfleisch-Label investiert. Dessen Grundlage ist das Premium-Label des Deutschen Tierschutzbundes: Stroh, Außenklima, Ringelschwanz, mehr Platz, kein Futter aus gentechnisch veränderten Pflanzen – und keine betäubungslose Kastration.


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Eine wichtige Rolle spielte dabei auch der betriebswirtschaftliche Aspekt: Der Auszahlungspreis für das Kilogramm Schlachtgewicht liegt 45 Cent über dem konventionellen Preis, ist über eine Dauer von zehn Jahren abgesichert und wird noch um zwei Cent für das Verfüttern von europäischem Sojaschrot sowie zwei Cent für jedes selbst aufgezogene Ferkel angehoben. Steigt der Marktpreis, profitieren Herrmanns mit – nach unten, ist der Preis hingegen auf 2,15 Euro abgesichert. Dafür haben die Tiere auch mehr Platz. Familie Herrmann mästet mit 1.000 Tieren auf der zur Verfügung stehenden Fläche rund 450 Schweine weniger als konventionell möglich wären. Das Futter ist rund 20 Prozent teurer als konventionelles.

Das betäubungslose Kastrieren gehörte mit dem Einstieg ins Label-Programm der Vergangenheit an. „Der Aufwand ist überschaubar bei diesem Verfahren und wir brauchen für die Injektionsnarkose kein eigenes Gerät wie bei der Inhalationsnarkose“, sagt Matthias Herrmann. Bei der Immunokastration war den Herrmanns die Akzeptanz durch Handel und Verbraucher noch zu unsicher. Und da das Fleisch des Hofglück-Labels überwiegend an der Frischetheke verkauft werde, sei ihnen das Risiko von Stinkern bei der alternativ möglichen Ebermast zu groß gewesen.

Die Kosten liegen bei dem Verfahren jedoch höher als bei der Isofluran-Methode, da die Injektionsnarkose von einem Tierarzt verabreicht werden muss. Rund 100 Ferkel könnten pro Stunde behandelt werden. „Außerdem hat das den Vorteil, dass Bruchferkel und Binneneber gleich von unserer Tierärztin mit operiert werden können und wir uns bei Wartezeiten die Schweine in Ruhe gemeinsam anschauen können“, ergänzt Hans-Dieter Herrmann. Tierärztin Dr. Miriam Viehmann aus Schrozberg, Fachtierärztin für Schweine, betreut neben dem Hof Herrmann noch einen weiteren Hofglück-Betrieb, auf dem sie für die Kastration betäubt.

Die Injektionsnarkose bindet zwei Arbeitskräfte und erfordert ein abgestimmtes Vorgehen sowie eine ausgefeilte Terminkoordination. Zunächst werden die vier bis sechs Tage alten männlichen Ferkel eines Wurfes selektiert und bekommen zeitgleich zwei Spritzen: von Matthias Herrmann ein Schmerzmittel für den postoperativen Schmerz, von Tierärztin Dr. Viehmann das Narkosemittel (Ketamin und Azaperon). Entscheidend ist die Menge des Narkosemittels: Zu wenig führt zu nicht ausreichender Betäubung, zu viel könnte zu langen Nachschlafphasen führen. Da die Menge des Narkosemittels auf das Körpergewicht der Ferkel abgestimmt sein muss, werden die Tiere vor der Gabe gewogen. Am Tag der Operation sollten die Tiere keine zusätzliche Behandlung bekommen, wie etwa das Einziehen von Ohrmarken, um sie möglichst zu schonen.

In einem Speiskübel auf Stroh gelagert, dämmern die Ferkel innerhalb von drei bis fünf Minuten weg. Sind sie eingeschlafen, werden die Ferkel von Hans-Dieter Herrmann in einen Metallbock eingespannt. Mit einem Bügel werden die Hinterbeine nach vorne gedrückt, sodass der Hodensack frei zugänglich liegt. Links und rechts ein Schnitt, die Hoden treten mit leichtem Fingerdruck heraus und können mit dem Emaskulator abgetrennt sowie die Wunde mit Jodspray behandelt werden.

Nach dem Zurücklegen der Tiere in den Speiskübel wird dieser in die Abferkelbucht zurückgestellt. Die Ferkel werden dort allmählich wach, meist innerhalb von 30 Minuten. „Das Aufwändigste an dem Verfahren ist die Nachsorge“, sagt Dr. Miriam Viehmann. Da der Aufwachprozess eine Weile dauere, dürften die Ferkel nicht auskühlen – Wärmeplatte oder Wärmelampen helfen dabei, die Temperatur auf ca. 30 Grad zu halten. Die viel befürchteten Erdrückungsverluste noch nicht ganz wacher Ferkel würden aber überschätzt, sie liegen ihrer Erfahrung nach bei 0,2 Prozent. Nach eineinhalb bis zwei Stunden seien die Ferkel normalerweise wieder so fit, dass sie an die Sau zum Säugen könnten.

Letzte Aktualisierung 08.02.2021

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