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Ob Milchziegen Hörner haben oder nicht, macht einen gewaltigen Unterschied. Im Konkurrenzstreit um die besten Fressplätze sind behornte Tiere klar im Vorteil. Eine Kraftfutterstation mitten im Stall muss so konzipiert sein, dass Stress und Verletzungen minimiert werden können.
Ziegenkitze zu enthornen ist in Deutschland nur in Einzelfällen erlaubt. Fütterungssysteme, die in hornlosen Milchziegenherden gut funktionieren, können nicht eins zu eins auf Herden mit hörnertragenden Tieren übertragen werden. Ziegen sind sehr soziale Tiere, innerhalb einer Herde formt sich jedoch auch eine ausgeprägte soziale Hierarchie aus. Im Streit um die besten Fressplätze, Liegestellen oder Bürsten gehen Ziegen überhaupt nicht zimperlich miteinander um. Ranghöhere Tiere wissen sich durch Kopfstöße durchzusetzen, was Verletzungen nach sich ziehen kann. Da Ziegen immer gleichzeitig fressen wollen, muss für jedes Tier mindestens ein Fressplatz vorhanden sein. So können rangniedere Tiere den dominanteren ausweichen, kommen aber trotzdem zum Fressen.
Eine leistungsgerechte Fütterung wird von vielen Faktoren bestimmt, die sich zudem ständig verändern. Milchziegen leistungsgerecht zu füttern, bedeutet, Grund- und Kraftfutter optimal zu dosieren und sowohl ein Energie-Defizit als auch einen -überschuss zu vermeiden. Betriebe bieten Kraftfutter oft im Melkstand an. Entweder wird es über Tiererkennung individuell zugeteilt oder es werden Gruppen mit gleichen Laktationsstadien gebildet, die dann fast dieselbe Menge manuell erhalten. Eine von den Melkzeiten entkoppelte Kraftfutterstation (KFS) im Stall samt Tiererkennung hat den Vorteil, dass kleine Portionen über den Tag hinweg angeboten werden können. Im Melkstand sind es in der Regel nur zwei Portionen täglich. Je Gabe sollte nie zu viel Kraftfutter verfüttert werden, da sonst die Gefahr einer Pansenacidose besteht.
Warum eine Kraftfutterstation mitten im Stall problematisch ist, liegt auf der Hand: Nur ein Tier kann Kraftfutter fressen! Bei den herkömmlichen Kraftfutterstationen für hornlose Herden müssen die Ziegen wieder rückwärts aus der Station laufen. Hinter der Tür stauen sich allerdings schon ungeduldig wartende, manchmal auch ranghöhere Tiere, die eintreten wollen, weswegen es oft zu Gerangel oder Streit kommt. Sind die Ziegen behornt, drohen bei den bisher auf dem Markt erhältlichen Kraftfutterstationen Verletzungen am Euter und Brustkorb sowie auch wirtschaftliche Einbußen.
Genau hier setzt ein Ende 2021 abgeschlossenes Forschungsprojekt an. Entwickelt wurde eine Kraftfutterstation, die das natürliche Verhalten hörnertragender Milchziegen berücksichtigt und gleichzeitig so konstruiert ist, dass Auseinandersetzungen und Verletzungen minimiert werden können. Die Idee dahinter: Die einzelnen Ziegen sollten die Station bestmöglich räumlich getrennt durchlaufen. Unter dem Dach eines EIP-AGRI-Projektes (Europäische Innovationspartnerschaft für landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit) mündete diese Idee tatsächlich in eine praxisreife Kraftfutterstation. Möglich gemacht hat das ein Verbund aus Ziegenhaltern, Wissenschaft (Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen HfWU, Thünen-Institut), Fachberatung und Firmen.
In das Forschungsprojekt eingebunden waren zwei baden-württembergische Milchziegenbetriebe sowie zwei auf Fütterungstechnik spezialisierte Firmen. Um für räumliche Distanz zwischen der fressenden Ziege und den wartenden Tieren zu sorgen, wurden die Stationen auf einem erhöhten Podest mit Zu- und Abgängen über schiefe Ebenen installiert. Eine Kraftfutterstation wies zwei hintereinander geschaltete Eingangstüren für noch mehr Distanz und einen seitlichen Ausgang auf. Mit der Zeit zeigte sich jedoch, dass der Seitenausgang nicht optimal und die Sensortechnik für die Tiererkennung fehleranfällig war. Diese Stationsvariante schaffte es nicht zur Praxisreife.
Die zweite Variante, die nach etlichen Anpassungen zur Praxisreife gelangte, verfügt über eine Eingangstür. Die Ausgangstür liegt in Verlängerung dahinter, so dass die Ziegen nur geradeaus durch die Kraftfutterstation laufen müssen. Wie diese sogenannte "Capra Box" auf dem Nußlocher Ziegenkäsehof funktioniert, zeigt das offizielle Projektvideo der HfWU.
Der Betriebsleiter des Nußlocher Ziegenkäsehofes, Joachim Kamann, ist mit dieser Capra Box als parallele Doppelausführung nach dreijähriger Betriebszeit sehr zufrieden. Um Arbeitszeit zu sparen, waren im Stall bereits drei herkömmliche Kraftfutterstationen vorhanden. Als er auf hörnertragende Ziegen umstellte, fingen die bekannten Probleme an. Seine Herde besteht jetzt zu 80 Prozent aus behornten Tieren, zusammen 90 Milchziegen.
Die Kraftfutterstation war innerhalb eines Tages schnell montiert und funktioniert seither überraschend gut, obwohl einige Bedenken bestanden. Keiner der am Projekt Beteiligten konnte sich nämlich vorab vorstellen, dass eine auf Durchlauf konzipierte Anlage in der Praxis funktionieren kann.
Die Eingangstür öffnet 20 Sekunden nach der Ausgangstür, damit die Ziege in Ruhe die Station verlassen kann, bis die nächste eintritt. Doch selbst, wenn das Tier trotz geöffneter Ausgangstür in der Station verbleibt, treibt die folgende Ziege es automatisch heraus. Da das Kraftfutter den ganzen Tag zur Verfügung steht, geschieht dieser Durchtrieb ruhiger.
Die unterschiedlichen Winkel der Auf- und Abgangsbretter haben sich in der Praxis bewährt: Die schiefe Ebene beim Aufgang ist flacher und erlaubt von hinten nur ein Schieben mit der Kopfplatte anstatt mit Hörnern. So können Euterverletzungen vermieden werden. Das Abgangsbrett hingegen ist steiler und glatt gestaltet, damit keine Tiere von außen die Ausgangstür versperren können.
Joachim Kamann bietet auf seinem Betrieb eine Futterkomponente an, die Kraftfutterstation verfügt jedoch über insgesamt vier Zugänge. Je Stationsbesuch werden dreimal 20 Gramm Kraftfutter zugewiesen. Die höchste Gesamtmenge pro Tag liegt derzeit bei etwa 500 Gramm.
Die Türen der Kraftfutterstation werden pneumatisch gesteuert. Was passiert, wenn der Strom ausfällt und sich die Türen gar nicht mehr öffnen und schließen, ist noch nicht geklärt. Joachim Kamann wünscht sich hier eine Lösung für den Ernstfall.
Soll eine Kraftfutterstation in den eigenen Stall integriert werden, ist Folgendes zu beachten:
Projektbegleitend haben die Forschenden wissenschaftliche Daten gesammelt, um die Auswirkungen der Capra Box darstellen zu können. Zuerst wurde der Ist-Zustand des Nußlocher Ziegenkäsehofes vor dem Einbau der Station erhoben und dann mit der Situation danach verglichen. Hierbei lag der Fokus auf der Gesundheit und dem Verhalten der Tiere. Die Ergebnisse:
Letzte Aktualisierung 09.11.2022