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Die Folgenabschätzung des Thünen-Instituts bestätigt: Die Vorschläge des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung zum gesellschaftlich erwünschten Umbau der landwirtschaftlichen Tierhaltung in Deutschland sind machbar und wirtschaftlich realistisch.
Am 3. Mai hat die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Kompetenznetzwerks, Jochen Borchert, sowie mit Prof. Folkhard Isermeyer, Präsident des Thünen-Instituts, die Ergebnisse der Folgenabschätzung zu den Vorschlägen des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung vorgestellt. Das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung – bekannt auch als Borchert-Kommission – wurde 2019 vom BMEL ins Leben gerufen, um Vorschläge zu erarbeiten, wie sich das Tierwohl in der Nutztierhaltung in Deutschland verbessern und die negativen Wirkungen auf die Umwelt deutlich mindern lassen.
Die Borchert-Kommission legte ihre Ergebnisse im Februar 2020 vor. Hauptziel der Vorschläge ist es, die gesamte deutsche Nutztierhaltung innerhalb von 20 Jahren auf ein deutlich höheres Tierwohlniveau zu bringen. Dafür werden für jede Tierart jeweils drei Tierwohlstufen definiert. Ab 2040 sollen alle Nutztierhaltungen in Deutschland mindestens Stufe 2 erreicht haben. Das heißt, mehr Platz, eine strukturierte Haltungsumgebung, intensivere Tierbetreuung und Kontakt zum Außenklima. Die landwirtschaftlichen Betriebe sollen durch Investitionsförderung, Tierwohlprämien und eine staatliche Produktkennzeichnung wirtschaftlich in die Lage versetzt werden, ihre Haltungssysteme auf die höheren Tierwohlziele auszurichten. Außerdem wird angestrebt, die verpflichtenden Standards im Ordnungsrecht 2030 auf Stufe 1 und 2040 auf Stufe 2 anzuheben.
Bereits im März 2021 hatte ein Team aus Fachjuristen in einem 276 Seiten starken Gutachten bestätigt, dass die von der Borchert-Kommission gemachten Vorschläge aus rechtlicher Sicht weitgehend umsetzbar sind.
Was noch ausstand, war eine Politikfolgenabschätzung zu den Vorschlägen der Borchert-Kommission. Diese wurde zwischen Januar und April 2021 vom Thünen-Institut erarbeitet. Die Kernpunkte der 191-seitigen Folgenabschätzung stellen wir Ihnen im Folgenden vor.
Als Reaktion auf den Wunsch der Gesellschaft nach verbesserten Haltungsbedingungen in der Nutztierhaltung hat es in den letzten Jahren verschiedene politische wie wirtschaftliche Bemühungen gegeben, das Tierwohl zu verbessern. Als zentrale Instrumente hat man dabei vor allem auf die Kennzeichnung von Tierwohlprodukten und – damit verbunden – höhere Preise gesetzt. Nach Ansicht der Autorinnen und Autoren der Folgenabschätzung reichen diese Instrumente jedoch allein nicht aus, um den gesamten Nutztiersektor auf ein höheres Tierwohlniveau zu bringen. Denn viele Verbraucherinnen und Verbraucher würden sich – so belegen zahlreiche Studien – trotz anderslautender Bekundungen in Umfragen, beim Einkauf nach wie vor vorrangig am niedrigsten Preis orientieren.
Eine Fortführung der aktuellen Tierwohlbemühungen würde nach Ansicht des Thünen-Instituts also nur dazu führen, dass sich im deutschen Nutztiersektor die drei bestehenden Tierwohlniveaus manifestieren – mit letztlich unbefriedigendem Ergebnis. Denn nur ein relativ kleiner Teil der Nutztiere würde dabei auf einem Tierwohlniveau gehalten, welches den Tierwohlstufen 2 oder 3 des Borchert-Plans entspricht. Ein relativ großer Teil der Nutztiere würde dagegen zu den Bedingungen der Branchen-Initiative Tierwohl gehalten, das heißt oberhalb des gesetzlichen Mindeststandards, aber unterhalb der Stufe 1 des Borchert-Vorschlages. Und ein ebenfalls relativ großer Teil der Nutztiere würde zu Bedingungen gehalten, die gerade mal dem gesetzlichen Mindeststandard entsprächen. Will man den gesamten Nutztiersektor auf ein höheres Niveau bringen, so die Autorinnen und Autoren, seien weitergehende staatliche Eingriffe – wie sie von der Borchert-Kommission gefordert werden – "zwingend erforderlich".
Laut Thünen-Institut stellt die von der Borchert-Kommission vorgeschlagene Kombination aus Anreiz- und Zwangsmaßnahmen (Ordnungsrecht) ein wirtschaftlich schlüssiges Maßnahmenbündel dar, um die gesellschaftlich erwünschte Transformation des gesamten Nutztiersektors zu erreichen.
Ausschließlich nationale Verschärfungen des Ordnungsrechts würden hingegen nur zu einer schrittweisen Verlagerung der Tierhaltung an ausländische Standorte führen. Bei einer Umsetzung mit reinen Anreizmaßnahmen müsste man die Tierwohlprämien unrealistisch hoch ausloben, wenn man damit auch den "letzten" Betrieb noch zu einer freiwilligen Teilnahme bewegen wollte. Würde man zum Beispiel am bisherigen Konzept der Initiative Tierwohl anknüpfen wollen, müsste der bestehenden Finanztopf dafür mehr als 20 Mal größer sein als bisher, so das Thünen-Institut. Allein durch freiwillige Preisaufschläge, so zeigen Untersuchungen, sei ein solches Finanzvolumen gar nicht aufzubringen. Es müssten also marktwirtschaftliche Instrumente entwickelt werden, mit denen eine "zwangsweise" Eintreibung der Mittel möglich wäre. Solche rechtlichen Sonderkonstrukte sind laut Thünen-Institut – wenn überhaupt – jedoch nur mit Zustimmung des Parlaments möglich. Der von vielen Landwirtinnen und Landwirten empfundene Nachteil einer hohen "Politikabhängigkeit", der sich aus ihrer Sicht durch den Borchert-Plan ergäbe, könnte auch durch eine freiwillige Branchenlösung nicht aus der Welt geschafft werden.
Wie Kalkulationen des Thünen-Instituts zeigen, führt die Anpassung der Produktionssysteme an ein höheres Tierwohlniveau in allen Bereichen der Tierhaltung zu Mehrkosten auf den Betrieben (siehe Grafik). Bei Milchkühen, Mastschweinen und Mastrindern erhöhen sich in den Tierwohlstufen 2 und 3 die Produktionskosten gegenüber der derzeitigen Situation um rund 10 bis 16 Prozent. Für Sauen und Ferkelaufzucht ergeben sich Mehrkosten von rund 25 bis 30 Prozent und in der Masthühnerhaltung könnten sogar bis zu 44 Prozent Mehrkosten entstehen. Diese Mehrkosten entstehen laut Thünen-Institut vor allem durch einen höheren Arbeitsaufwand, höhere Materialkosten (z. B. für Stroh und Futtermittel), eine geringere Besatzdichte in den Ställen und teilweise eine geringere Tierleistung.
Die Borchert-Kommission schlägt vor, die finanzielle Unterstützung auf zwei Komponenten aufzuteilen: Eine einmalige Investitionsförderung und jährliche Tierwohlprämien. Die Expertinnen und Experten des Thünen-Instituts diskutieren in ihrer Folgenabschätzung, ob die Tierwohlprämien die Mehrkosten nur teilweise oder besser vollständig kompensieren sollten. Eine ökonomisch-theoretische Analyse des Thünen-Instituts zeigt, dass prinzipiell eine vollständige Kompensation – also 100 Prozent über Tierwohlprämie – erforderlich ist. Mit dieser Empfehlung weichen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Thünen-Instituts von den Vorschlägen der Borchert-Kommission ab, die bislang eine 85-prozentige Finanzierung der Kosten über die Tierwohlprämie fordert.
Berechnungen des Thünen-Instituts zeigen weiterhin, dass in der Mehrzahl der Fälle auch eine Investitionsförderung von 40 Prozent - wie aktuell in der Praxis angewendet – nicht ausreichend ist, um die Höhe der tierwohlbedingten Mehrinvestitionen voll zu kompensieren. Für eine vollständige Kompensation in allen Stufen müssten die Förderquoten bei bis zu 60 Prozent liegen.
"Eine von der Bevölkerungsmehrheit getragene Nutztierstrategie könnte dazu führen, dass zahlreiche tierhaltende Betriebe zuversichtlicher in die Zukunft blicken", schreibt das Thünen-Institut. "Die Strategie bietet ihnen eine klare Perspektive über den Zukunftskurs und einen verlässlichen wirtschaftlichen Ausgleich für die tierwohlbedingten Mehraufwendungen." In der Folgenabschätzung gibt es dazu einige Beispielkalkulationen.
Die landwirtschaftlichen Einkommen würden sich durch die Nutztierstrategie leicht positiv entwickeln, so die Autorinnen und Autoren, sofern die Tierwohlprämie so festgesetzt würde, dass sie die tierwohlbedingten Mehrkosten im Durchschnitt der Betriebe ausgleiche.
Die Expertinnen und Experten weisen jedoch darauf hin, dass sich der Betriebsgrößenstrukturwandel durch die Umsetzung der Borchert-Empfehlungen nur geringfügig ändert. Denn die Kriterien der Tierwohlstufen 2 und 3 könnten auch von größeren Betrieben erreicht werden und die wirtschaftlichen Treiber des Betriebsgrößenstrukturwandels wirkten weiterhin. Die im Haupterwerb betriebenen, kommerziellen Nutztierhaltung werden nach Prognosen des Thünen-Instituts bis 2040 auf voraussichtlich weniger als 20.000 Tierhaltungen sinken. Daneben werde es eine Vielzahl von Klein- und Kleinsttierhaltungen geben, die im Nebenerwerb oder als Hobby-Tierhaltung betrieben würden.
Die Transformation der Tierhaltung könne nur funktionieren, so das Thünen-Institut, wenn die Gesellschaft auch langfristig zur Finanzierung dieses Prozesses bereit sei und im Laufe der Zeit immer mehr Landwirtinnen und Landwirte in tiergerechte Haltungssysteme investierten, die gesellschaftlich erwünscht seien. Das Thema "Vertrauen" ist aus Sicht des Thünen-Instituts daher von überragender Bedeutung für die Erfolgsaussichten der Nutztierstrategie.
In vielen Diskussionen nach Veröffentlichung der Borchert-Empfehlungen wurde deutlich, dass sowohl in der Landwirtschaft als auch bei den kritischen Bevölkerungsgruppen die Sorge bestehe, die jeweils "andere Seite" würde sich im Laufe der Zeit nicht mehr an die Abmachungen halten. Konkret befürchteten viele Landwirtinnen und Landwirte, dass künftige Parlamente die Finanzierung der Tierwohlprämie in Frage stellten und/oder dass neue ordnungspolitische Vorgaben des Tierschutzrechts oder des Umweltrechts die Investitionen unrentabel werden ließen. Umgekehrt hätten zivilgesellschaftliche Gruppen die Sorge, mit der Nutztierstrategie würden neue Subventionstatbestände für die Landwirtschaft geschaffen, ohne dass eine ausreichende Transformation des Sektors in Richtung auf umwelt- und tierschutzpolitische Ziele erreicht würde.
Daher sollte sorgfältig überlegt werden, wie sich eine vertrauensvolle Zusammenarbeit entwickeln kann, die langfristig tragfähig ist. Das Thünen Institut stellt dazu in seiner Folgenabschätzung einige Ansatzpunkte zur Diskussion, die zu positiven Weichen-stellungen führen können.
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner sowie Jochen Borchert, Vorsitzender des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung, sehen sich durch die Ergebnisse der Folgenabschätzung bestätigt, die von der Kommission erarbeiteten Pläne zur nachhaltigen Verbesserung der landwirtschaftlichen Tierhaltung umzusetzen.
Nun müsse man sich noch auf ein Finanzierungsmodell einigen, sagte Klöckner bei der Pressekonferenz am 3. Mai und appellierte an ihre Kolleginnen und Kollegen im Bundestag: "Ich habe Verständnis dafür, dass die Fraktionen noch intern Beratungsbedarf haben. Ich rate aber dazu, sich noch in dieser Legislaturperiode auf einen Weg zu einigen."
Letzte Aktualisierung 06.05.2021